Velvetrose - Orphans Carillon

Dolphin verzog missmutig ihr hübsches Gesicht, sie stampfte wütend zur Theke und suchte etwas Verbandsähnliches, musste sich dann mit einem schmutzigen, blauen Tuch zufriedengeben. Sie hatten den beiden den Rücken zugewandt als sie das Tuch um ihre Hand wickelte. Unglücklich zog sie eine Schnute. "Ich gebe dir drei Tage deine Schulden zu begleichen." Mit einer eleganten Drehung wandte sie sich wieder den beiden zu. "Wie du das anstellst ist mir egal." Erklärte sie, trat hinter der Theke her. "Und du kannst dir sicher sein das ich nicht davor zurückschrecken werde dir die Organe nach außen zu kehren." Drohte sie mit rauchiger Stimme und kniff die braunen Augen zusammen. Sie widerstand dem Drang den Schuldner zu treten.

Sie ging zu der Ladentür und verließ das Handwerksgeschäft begleitet vom leisen Klingeln des Windspiels neben der Tür, zuvor warf sie Sawyer noch einen auffordernden Blick zu. Sie sah sich mit müdem Blick um, stellte zufrieden fest dass ihnen keine außergewöhnliche Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Sie senkte den Blick und schritt durch die Menge, versuchte sich ihren Zorn nicht anmerken zulassen. Ohne genau darauf zu achten wohin sie ging, ließ sie sich irgendwohin tragen.

Etwas verspätet hatte Fiddler sein Haustier endlich eingeholt und war leicht außer Atem, weil es dem Tier so viel einfacher fiel, sich an Menschen vorbei zu schlängeln und jedes noch so kleine Hindernis zu überkommen, während Fiddler es hauptsächlich schaffte, indem er eine Menge Leute leicht anrempelte und immer wieder leise entschuldigende Worte murmelte. „Entschuldigung... Darf ich mal...? Ich müsste nur mal kurz... Danke... Sehr freundlich..." Wie immer versuchte er, mit einem Lächeln überall durchzukommen. Er hörte ein leises Quieken von Speckles, sowie eine darauf folgende Mädchenstimme, die sich definitiv mit dem kleinen Affen zu unterhalten schien. Kurz darauf erblickte er die Besitzerin der Stimme und schenkte ihr ein Lächeln als Entschädigung, da Speckles das Verbrechen bereits aufgelöst hatte und er zu diesem Thema wohl keine Worte mehr verlieren musste.

Speckles stupste ihn mit dem Köpfchen an, erwartete eine Belohnung, die er auch sofort in Form eines Kopfkraulers bekam. Fiddler musterte das Mädchen kurz, versuchte einzuschätzen, ob der Vorfall Konsequenzen haben würde, aber sie schien ganz und gar nicht der Typ dafür zu sein. Er spürte, dass sie seinem Blick auswich, wodurch sich seine Stirn in Falten legte? Stimmte etwas nicht? Mal abgesehen von der Tatsache, dass sie gerade bestohlen worden war und der Täter ein Affe war, der den Anstand hatte, ihr eben diesen Gegenstand wieder zurückzubringen. Leicht verunsichert durch diese Geste rieb er sich den Hinterkopf und lachte leise. „Es tut mir wirklich Leid. Ich versuche schon seit Jahren, ihm das auszutreiben. Ich hoffe, dem... Ding ist nichts passiert...?" fragend hob er eine Augenbraue.

Rairiis Gesichtsfarbe nahm sofort die eines Stück Kreide an, als Noah sie ansprach. Jemand fremdes. Ein Horror für die sonst so isolierte Waisin. Die Antwort, die sie gerade versucht hatte aus ihren Lungen zu drücken, entpuppte sich als jämmerliches Quieken. Völlig von Nervosität überrannt zwang sie sich zu einem Nicken. Erst wenige Sekunden später und ein paar mehr Luftzüge, brachte sie es dann doch noch fertig dem jungen Mönch zu antworten. "S-Setz dich nur. Wir haben nichts dagegen...Glaube ich. Denke ich. Oh Gott, Justin, sag mir du bist nicht dagegen!" Beinahe jammernd zog sie am Ärmel des braunhaarigen. Ohne auf eine Antwort zu warten sprach sie aber schon wieder weiter: „I-Ich bin Rairii und das ist Justin. Ähm..." Sie wusste nicht weiter. Panik machte sich breit. Im Chaos, das ihren Kopf zu benebeln bedrohte, fuchtelte sie wild um sich, wobei sie Cheshire vom Tisch stieß, der mit einem lauten Miauen unsanft auf dem Boden landete. Das war es dann auch für den Kater gewesen. Erneuter Unruhe wegen blitzte er Rairii genervt an und verschwand dann auch schon aus der Bistrotür. Zum Unglück von Rairii. "Ah-! Cheshire! Bleib hiiiier!" rief sie ihm verzweifelt nach, dabei sprang sie auch schon auf. "Tut mir Leid, ich bin gleich wieder da. Kümmere du dich um unseren neuen Bekannten." bat sie bevor sie das Bistro ebenfalls verließ.

Es machte keinen Sinn. Der Kater war verschwunden. Oder war er das? Zwischen der Geräuschkulisse erklang deutlich das Geräusch eines Glöckchens. Ein wohl vertrauter Klang, der ruckartig seinen Ton durch die Menge zog, die Straße entlang. Plötzlich fiel ihr Cheshire wieder ins Auge. Auf einem Fensterbrett eines Bücherladens erhaschte er nochmal einen Blick, sträubte gestresst sein Nackenfell und zwängte sich dann durch den Fensterspalt, den er zuvor ausgemacht hatte. Bücher. Niemand würde Krach mit Büchern verursachen. Im Inneren des Gebäudes war es nahezu harmonisch still. Der süße Geruch frischer Bücher stieg ihm in die Nase. Hier konnte sich eine Katze wohl fühlen. Ein Satz vom Fensterbrett auf den nächsten Tisch und schon hatte er sein Ruheplätzchen gefunden. Ihn interessierte nicht, ob die Menschen, die diesen Laden führen mussten ihn scheuchen würden. Für nun war er ganz auf sich gestellt. Und das zeigte sich auch, denn schon jetzt schloss er seine Augen und gab ein sanftes Schnurren von sich.

Für Rairii selbst war das Ganze ein Horrortrip. Dicke, schwer beladene oder einfach rücksichtslose Menschen blockierten den Weg zu dem Laden. Als sie den größten Teil des Weges hinter sich gelegt hatte, legte sich auch der Trubel um sie und es wurde ruhiger. Keuchend und völlig verausgabt vom Rennen schleppte sie sich zur Hauswand, stützte sich. "Ich hätte mir einen Wurm als Haustier halten sollen." stellte sie fest. Nun half es ihr aber auch nicht mehr. Cheshire war nun einmal ihr Kater und sie musste ihn holen. Mit äußerster Vorsicht legte sie ihre Hände auf die Tür des Bücherladens und schob sie nur im Schneckentempo auf. Nachdem sich ein größerer Spalt geöffnet hatte, tappste sie auf leisen Fuß hinein und sah sich oberflächlich um. "...Halloooo?" rief sie unsicher in den Raum, prüfend ob sich jemand um den Laden kümmerte.

Lynn's Blick streifte den Jungen nun und sie sah, dass er sich zu wundern schien, dass sie seinem Blick auswich. Und das war keineswegs verwunderlich, wenn er den Grund dafür nicht kannte. Und so wirkte es einfach nur unhöflich. Also atmete sie innerlich ein paar Mal durch und sah ihn dann direkt an, ein Lächeln zierte nun ihre Lippen. "Schon okay, dem Armband ist nichts passiert" antwortete sie zögerlich. Wieso konnte sie nicht normal mit ihm reden? Immer war es dasselbe. Sobald sie mit einem männlichen Geschöpf redete, wurde ihr heiß und kalt gleichzeitig, sie wusste nicht mehr was sie sagen sollte. Und so war es nur bei Männern beziehungsweise Jungen. Mit Mädchen konnte sie ungezwungen und normal reden, ohne sich bis auf die Knochen blamieren oder unhöfliche rüber zu kommen. Als ließ sie die roten Augen fest auf dem Jungen und seinem Affen. Bei seiner Bemerkung jedoch, wurde das Lächeln etwas breiter. "Na ja, er scheint ja wenigstens den Anstand... oder das schlechte Gewissen zu haben das Gestohlene wieder zurück zu bringen" fuhr sie, noch immer etwas zögerlich, fort. Dann fiel ihr der Ansatz der Geige auf dem Rücken des Jungen. Kurz musterte sie das Stück, das sie von dem Instrument sah, ehe sie sich wieder an ihn wandte. "Bist du... etwa ein Musiker?" fragte sie dann noch immer ein bisschen schüchtern, weiter doch langsam kam die Neugierde durch.

Spät hatte sich der schwarzhaarige an diesem Tag aus dem weichen Lager erhoben, das sein Bett darstellte, gähnend sich für den Tag fertig gemacht, ehe er seinen Laden aufsuchte, den schweren Duft der alten und frisch gedruckten Bücher einatmete, bevor er das alte, vergilbte Schild, das den Laden als geschlossen auszeichnete, umdrehte und das Geschäft für den Tag eröffnete, mit den Buchstaben, die jetzt von ihrem Platz hinter der Glasscheibe die Passanten auf der Straße mit einem "Geöffnet" begrüßte. Gähnend hielt Lian sich den Handrücken vor den Mund, fuhr sich kratzend durch das ungeordnete, doch dafür eigenartig ordentliche Haar, während er auf das Fenster zu trat, es leicht öffnete, nur angelehnt, etwas frische Luft in den Raum lassend, die die Düfte von Frühstück hinein wehten, sie mit den Gerüchen der alten Ledereinbände vermischte.

Er nahm die warme Teetasse von einem kleinen Tischchen, auf der er sie zuvor abgestellt hatte, ließ sich schließlich in einen gemütlichen Sessel nahe des offenen Fensters, das neben Gerüchen auch die vormittäglichen Geräusche der geschäftigen Stadt hineintrugen, seltsam gedämpft jedoch, sodass sie nur leicht zu einem wenig störenden Hintergrundgeräusch verkommen konnten, nieder. Neben sich hatte er einen Stapel Bücher aufgetürmt, seine Beschäftigung für den Tag, erwartete er nicht allzu viel Kundschaft. Die meisten Leute schienen sich kaum noch für Bücher zu interessieren, und die, die es taten, verirrten sich trotz allem nicht regelmäßig in seine Gesellschaft. Ohne Frage war der Laden eine angenehme Umgebung für jeden der Ruhe und Bücher liebte, doch irgendetwas in der Art des Besitzer schien auszustrahlen, dass er nichts gegen Kundschaft hatte, man es jedoch nicht zu langen Besuchen ausarten lassen sollte, wenn man sich nicht völlig still verhielt, umso überraschter blickte er schließlich auf, als er das sachte Glockenklirren wahrnahm, hervorgerufen von der Katze, die sich uneingeladen durch das Fenster zwängte, als wäre das Geschäft dass Bettchen, in dem sie regelmäßig ihren Schlaf suchte. Nicht ohne Interesse betrachtete er die Katze also, ohne sich aufzurichten, sich die Mühe zu machen, sie zu verscheuchen, als sie sich schnurrend zusammenrollte, offenbar versucht sich erholsamem Schlaf hinzugeben.

Solange die Katze keinen Krach veranstaltete, konnte sie bleiben wo sie war, störte ihn nicht. Noch einen weiteren Augenblick blieben die grauen Augen an dem Tier haften, bevor Lian sich wieder dem Buch in seinem Schoß zuwandte. Doch die Ruhe schien nicht von Dauer, als sich wenige Augenblicke später bereits ein Mädchen in seinen Laden begab. Ohne aufzublicken erhob er die Hand, die noch immer die Teetasse hielt und deutete auf die Katze, die sich vor dem Fenster scheinbar selbst in den Schlaf zu schnurren beabsichtigte. "Deine Katze schläft", erklärte er schlicht, ohne irgendeine Regung in der Stimme, nur ein leichtes Zucken seiner Augenlider bestätigte, dass allein das einzelne langgezogene Wort genügte, um sich die Meinung zu bilden, dass er von diesem Mädchen genervt sein würde, noch lange bevor sie den Laden wieder verließ.

Fiddler verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln, sah kurz so aus, als zweifle er ihre Worte an, was er im Grunde genommen auch tatsächlich tat. Immerhin wusste er es besser. Und er hatte keine Probleme damit, Speckles schlecht dastehen zu lassen. Das war ja wohl die mindeste gerechte Strafe. „Den Anstand hat er nicht." entschlossen schüttelte er den Kopf. „Ich hab mich darum gekümmert... aber wir arbeiten daran" Zuversichtlich kraulte Fiddler sein Haustier unter dem Kinn, dieser murrte jedoch nur ein wenig beleidigt, verstand er immerhin jedes Wort, das sein Herrchen von sich gab.

Mit einer gewissen Erleichterung stellte Fiddler fest, dass das Mädchen nun doch etwas aufzutauen schien und es wohl nicht seine Schuld gewesen war, dass sie sich so ausweichend verhalten hatte. Etwas überrascht hob er die Augenbrauen, hätte sich schon beinahe selbst an den Rücken gefasst, um zu überprüfen, ob seine Geige noch da war. Mitten in der Bewegung hielt er jedoch inne und ließ seine Hände wieder sinken. Die Art, wie sie die Frage gestellt hatte, klang so als hätte sie gerade herausgefunden, dass er ein Zauberer war, dabei waren sie noch gar nicht bis zu diesem Punkt gekommen. „Naja..." begann er gedehnt, als folge nun eine stundenlange Geschichte „...eher freiberuflich, schätze ich. Ich verdiene mein Geld damit...aber die Meisten nervt es" Er zuckte lachend mit den Schultern, wurde selten auf diese Tatsache angesprochen. Vielleicht einfach, weil es so offensichtlich war und keine Fragen erforderte.

Lynn beobachtete die Regungen im Gesicht des Jungen. Er schien kurz an ihren Worten zu zweifeln, ehe er ein schiefes Lächeln aufsetzte und anfing zu erklären. Also stahl der Affe zwar, der Anstand jedoch lag bei seinem Besitzer, der offensichtlich mehr schlechtes Gewissen zu haben schien, als das Tier. Und eben das verwunderte sie. So mancher hätte den Affen wahrscheinlich gelobt, das gestohlene Schmuckstück in seine eigene Tasche wandern lassen und wäre ohne irgendwelche Spuren seiner Wege gegangen. Er jedoch schien damit Probleme zu haben, geklaute Sachen mit nichts dir nichts mit zunehmen und sich aus dem Staub zu machen, auch wenn er jetzt nicht aussah als hätte er alles was er sich wünschte. Abgesehen davon, hatte der kleine Affe sogar in gewissem Maße, das schlechte Licht verdient, welches nun auf ihn fiel.

"Na dann vielen Dank nochmal fürs wiederbringen. Immerhin gibt es nicht viele Leute, die den Anstand haben, gestohlenes wieder zu bringen." erwiderte sie ihm, noch immer grinsend. Auch wenn sie noch leicht schüchtern war, langsam wich dieses Gefühl in den Hintergrund und sie konnte sich, mehr oder weniger, normal mit ihm unterhalten. Als er dann den Arm hob, anscheinend mit der Hand nach seiner Geige tasten wollte, als wolle er sich vergewissern, dass sie noch auf seinem Rücken ruhte, hielt dann aber mitten in der Bewegung inne und ließ seinen Arm wieder sinken, bevor er fort fuhr. Sie nickte während er erklärte, zeigte ihm so, dass sie ihm zuhörte. Also war er wirklich ein Musiker. "Wirklich?" fragte sie ihn, auf seine Bemerkung hin, dass seine Bemühungen und seine Musik, eher weniger Beachtung fanden. Und eben diese Tatsache befand sie für ziemlich schade, denn wenn man es richtig anstellte, sein Werk beherrschte, dann konnte Musik etwas wirklich schönes sein, so dachte zumindest sie. Sie hatte schon öfters Straßenmusikern zugehört und war immer wieder begeistert wie einfach es dann aussah, es aber keineswegs war. "Also, falls es dich interessiert, Musik ist bei mir schon immer auf Begeisterung gestoßen" hängte sie noch mit an und beobachtete ihn dann dabei, wie er Speckles kraulte.

Es war zum verrückt werden. Erst hatte Rairii den fremden förmlich an ihren Tisch eingeladen, ohne auch nur auf Justin's Antwort zu warten, dann war sie einfach abgehauen. Eine peinliche Stille trat ein, als Justin gebannt auf Noah starrte, unwissend, worüber er sprechen sollte. Wäre Rairii dort geblieben wären ihm womöglich tausend Dinge eingefallen, die er hätte erzählen können, doch nun war sein Kopf förmlich leer von jederlei Gedanken an ein passendes Gesprächsthema. Peinlich berührt streckte Justin letztendlich seine Hand zu dem fremden Mönch aus. "Justin, Justin Locklear." sagte er knapp, um das Eis zu brechen, wobei er jedenfalls hoffte, dass er nicht zu verklemmt herüber kam. Normalerweise war er auch nicht so. Er selbst wunderte sich, was ihn gerade so stark daran hinderte, diese Person schlicht und einfach kennen zu lernen. Vielleicht lag es an der fremden Umgebung, dem Unwissen daran, wie die Leute in dieser Stadt sich üblicherweise verhielten. Vielleicht aber war es auch nur das Aussehen des Mönches, so hatte der Braunhaarige nicht allzu oft jemanden getroffen, dessen Amt offensichtlich im Namen Gottes stand. Zwar war Rairii von seinesgleichen erzogen worden, doch mulmig war ihm dennoch. Innerlich aufgewühlt wartete er auf eine Rückmeldung von Noah, wobei ihm tausend Dinge durch den Kopf rasten, die womöglich alle damit zu tun hatten, wie er Rairii am besten die Hölle heiß machen würde, sobald sie zurück war.

Noah hatte niemals mit einer solch heftigen Reaktion gerechnet. Doch er musste zugeben, dass das Mädchen, das durch sein unvermitteltes Ansprechen wohl aus der Ruhe gekommen war, überaus süß wirkte, wie es so dahin stammelte und mit rotem Gesicht versuchte, die Lage in den Griff zu bekommen. Jedoch schien irgendetwas aus dem Ruder zu laufen und es endete mit einer aufgescheuchten Katze, einem abgehetzten, nun verschwundenen Mädchen und einem perplexen, zurückgelassenen Jungen, der nun versuchte die Situation nicht in einer gigantischen Peinlichkeit enden zu lassen. Noah musste sich ein Kichern verkneifen und versuchte ernst zu bleiben. Dennoch lag ein breites, amüsiertes Grinsen auf seinem Gesicht, als der Junge sich als Justin vorstellte. Bereitwillig ergriff er seine Hand und legte kurz seine andere darauf. „Noah L. Genesis, aber sag ruhig Noah zu mir.", mit einem zwinkern setzte er sich ihm gegenüber. Man konnte Justin die Angst vor einer peinlichen Stille förmlich ansehen, weshalb Noah den Gesprächsball wieder aufnahm. „Nun ich denke deine Freundin wird sicherlich bald wiederkommen. Tut mir Leid wenn ich sie verjagt haben sollte. Ich wusste ja nicht das ich so abschreckend bin.", scherzte er. Dann kramte er die paar Münzen aus seiner Tasche, die er vorher zusammengesucht hatte. „Tut mir leid, ich habe leider nicht mehr viel Geld übrig, aber darf ich dich trotzdem zu einem Tee einladen, bis die junge Dame wiederkommt? Der Laden hier bietet eine wunderbare Auswahl verschiedener, exotischer Sorten an.", fragend schaute er seinen Gegenüber an und hob bereits halb die Hand um die Bedienung zum Tisch zu rufen.

Sawyer folgte dem Mädchen auf die Straße hinaus und kniff die Augen zusammen als die Sonne ihn blendete. Er hatte heute unverschämt gute Laune und das steigerte seinen Hunger. Als er jedoch seine Begleiterin in diese Gedankengänge einweihen wollte, war sie schon weg. Er konnte gerade noch sehen wie ihr Kleid zwischen zwei Fremden Männern verschwand. Seine Braue zuckte leicht, doch er folgte ihr vorerst. Sie war wütend, das konnte durchaus witzig werden. Nach schon wenigen Minuten hat er sie eingeholt und schritt kurz hinter ihr her, überlegte was er anstellen konnte um den Fass zum überlaufen zu bringen, dann zu verschwinden und das Mädchen in ihrer Wut allein lassen. Auf der vollen Straße wurde er ständig angerempelt und das störte seine Gedankengänge gewaltig. Ihm fiel einfach nichts ein. Murrend legte er seine Arme um das Mädchen, zog sie an sich und hielt sie fest. Die Passanten gingen mit genervten Gesichtern um sie herum. Seinen Kinn platzierte er auf ihrem Kopf, mit den Fingern zupfte er an ihrer Kleidung. »Ich will essen. Kauf mir was.« damit zog er sie aus der Menge heraus.

Einer leblosen Puppe gleich ließ sie sich aus der Menschenmasse ziehen. Wippend fiel ihr das braune Haar in die Augen, nur das ungewöhnlich häufige Blinzeln verriet das etwas nicht stimmte. Sie ließ Sawyer vorerst nur gewähren, da sie mit sich rang. Am liebsten hätte sie ihm aus Wut ihren Silberdolch in den Körper gerammt, wollte ihn bluten lassen für seine Taten.Bekam er nicht genug von ihr, musste er immer an den Grenzen wandeln, würde sie wegen ihm irgendwann. Als sie unbehelligt weiteren Anrempelns abseits der Menge standen, neigte Dolphin den Kopf und sah unbestimmt gen Boden. Zögernd regte sich ihre kleiner und zierlicher Körper, versuchte sich nicht aus der klammernden Umarmung zu befreien, sondern zupfte nur an dem blauen Tuch und löste es von ihrer Handfläche. Es hatte sich bereits mit dem wertvoll, dunklem Rot vollgesogen. Die Lebenslinien der kleinen Hand waren erfüllt von roten Flüssen, die alle einer unruhigen Wunde entsprangen.

Kurz verharrte nur Dolphins Blick darauf, wie sie ihre Handfläche skeptisch musterte, doch dann verschwand der Ausdruck mit einem nachdrücklichen Blinzeln und die Braunhaarige verlor etwas an ihrer Haltung, lehnte sich gegen Sawyer. "Das hätte nicht passieren dürfen." Erklärte sie mit monotoner und nüchterner Stimme. Sie zuckte prüfend mit ihrem Zeigefinger. Sawyer kannte sie wohl gut genug um sich darüber im Klaren zu sein, das ihr Verhalten darauf schließen ließ das sie so wütend war, das sich dies erst später zeigen würde. Sie seufzte, band das schmutzige Tuch wieder um ihre Hand, trotz der Gefahr einer Entzündung oder gar Blutvergiftung. Beschränkt durch die Umarmung des Paktgeistes, band sie eine niedliche Schleife mithilfe der rechten Hand und ihren Zähnen ."Was?" gab sie zurück, drehte den Kopf und versuchte zu dem Schwarzhaarigen hoch zu sehen, scheiterte kläglich und drückte dann gegen seine Arme um der Umarmung zu entkommen.

Zugegeben, die Person, die sich unmittelbar in ihrer Nähe befand und sich anscheinend versuchte an seinem Buch zu erfreuen, war nicht das, was Rairii erwartet hatte. In ihren Augen gehörte immer ein Brillen tragender, älterer Herr, der freundlich Informationen über jedes gekaufte Buch geben konnte. So kannte sie es jedenfalls, denn der freundliche Nachbar in ihrer Heimat entsprach eben genau diesem Bild. Dass ein junger Mann, der übrigens nicht schlecht aussah, den Laden hüten würde warf ihre Vorstellung gekonnt über den Haufen. Ihr Blick streifte nur kurz seine funkelnden, grauen Augen, doch es reichte ihr einen Schauer über den Rücken zu jagen. Sie kannte Justin, das war eine Sache. Doch nie zuvor hatte sie wirklich Kontakt zu anderen männlichen Wesen in ihrem Alter gehabt, denn es waren eher die Alten, die sie liebten.

Die Situation war unangenehm. Erneut bekam sie kein Wort heraus, nicht einmal nachdem der Fremde sich zu Cheshire äußerte, den er offensichtlich sofort als ihr Haustier zugeordnet hatte. Still musterte sie den ruhigen Kater, der sich tatsächlich gemütlich in den Schlaf geschnurrt hatte, unberührt von der Situation oder dem Fakt, dass sich tatsächlich noch jemand im Raum befand. Er war nun nebensächlich geworden, denn Rairiis Interesse war geweckt. Sicher, es war ein Junge, vor dem sie stand, aber dennoch, ein Buchhändler. "Ich hoffe er stört nicht." gab sie schüchtern zurück, verschränkte ihre Hände über ihrem Schoß. Sie konnte sich nicht helfen Lian unhöflicherweise anzustarren. Ein leichter Rotschimmer legte sich über ihre Wangen als sie erneut sanft einatmete um etwas zu sagen. Denn merkwürdig rumstehen und auf besseres Wetter warten, das würde sie auf jeden Fall zeichnen. "Ich sehe du liest." Eine intelligente Feststellung. Ein Buchhändler, der ein Buch las. Sie begann sich wieder zu blamieren, aber sie sprach dennoch weiter. "Leitest du den Buchladen ganz alleine? Erstaunlich, wie viele interessante Bücher es gibt. Der Laden ist größer, als der, den ich von Zuhause kenne." Sie kam nicht auf die Idee, sich zu fragen was ihr das Recht gab ihn bereits zu duzen, aber es kümmerte sie auch nicht. Es dauerte nicht lange, bis ihr Finger langsam über die Bücherrücken in den Regalen fuhr und ihre Lippen still Worte formten, wohl die Titel der Bücher. "Ich lese ja unheimlich gerne..." murmelte sie gedankenverloren, ihn nun weniger beachtend.

Tee. Das konnte Justin nun wirklich nicht abweisen. Aber wieso eigentlich nicht? Der junge Mönch war ganz offensichtlich knapp bei Kasse und der Braunhaarige hatte selbst genug Geld dabei, um sich einen Tee zu gönnen. Sicher, es war unhöflich, eine so direkte Einladung nicht anzunehmen, doch Justin war sich sicher, dass er sich unwohl dabei fühlen würde, wenn er Noah regelrecht ausnahm. Ein leichtes, kaum bemerkbares Seufzen verließ seine Lippen, als er unruhig in seiner Gürteltasche kramte und daher deutlich mit der Antwort zögerte. Bescheiden blickte er wieder nach oben und auf Noah, den Kopf dabei jedoch immer noch leicht geneigt, als wolle er ihm zeigen, wie demütig er sich fühlen musste. "Sind sie sich sicher, dass sie mir den Tee bezahlen wollen? Ich hätte wirklich genug Bargeld dabei, um mir selbst eine Tasse zu bestellen." sprach Justin kleinlaut, wobei er sehr versuchte sich seine Nervosität nicht länger anmerken zu lassen, so sprach er doch in einem ruhigen und sachlichen Tonfall. Doch es schien hoffnungslos, denn ein Kellner hatte die Geste von Noah bereits gemerkt, weswegen Justin nur noch hoffen konnte, dass sich der Mönch noch im letzten Moment umentschieden und das Angebot zurücknehmen würde. Ein klein wenig Geld hatte er bereits in der Hand, für den Fall, dass dies eintreffen würde, hatte diesen aber noch innerhalb der Tasche versteckt, aus der er seine Hand wohl gar nicht mehr heraus nehmen wollte.

Fiddler begegnete ihr mit einem tiefen Kopfnicken, das schon fast an eine Andeutung einer Verbeugung heranreichte. Noch immer lag ihm eine Entschuldigung auf der Zunge und er war kurz davor, noch weiter zu beteuern, dass es ihm Leid tat. Wenn das so weiterging, musste er Speckles anleinen. Doch das Mädchen schien nicht der Typ zu sein, der ihm eine solche Banalität nicht glaubte und keineswegs nachtragend. Aber gerade deshalb hatte sie eine angemessene Entschuldigung verdient. Oder wohl eher schon ein Geste der Dankbarkeit, dass sie ihn nirgendwo anschwärzte. Und es hoffentlich auch nicht in naher Zukunft tun würde.

Wieder nickte er, bestätigte ihr Nachhaken und lächelte breit. Tatsächlich war es ganz und gar nicht gewohnt, dass seine Musik auf Anklang stoß. Aber er lief auch nicht herum und verbreitete, was offensichtlich war. Das bisschen Gold, das er verdiente, war auch nur achtlos dahingeworfen. Die Mehrheit blieb nicht einmal stehen oder sah ihm überhaupt in die Augen. Höchstens hier und da mal ein junges Mädchen oder ein Kind, das noch nicht verdorben von der Bitterkeit der Welt war. Vielleicht sollte er damit beginnen, den Ton seiner Musik zu verändern. Traurig statt fröhlich, langsam statt schnell. Vielleicht würden sich die Leute dann besser damit Identifizieren können. Ein leises Seufzen entfuhr ihm, bevor er wieder zu einem Lächeln ansetzte und das Mädchen ansah. „Kann ich die Sache... trotzdem irgendwie wieder gut machen? Als Dank für dein Verständnis?" Er legte den Kopf leicht schief, was Speckles ihm auf seiner Schulter nachtat.

Der Junge schien sich langsam zu entspannen, war anscheinend froh, dass Lynn nicht sauer geworden war oder ihn bei irgendwem anschwärzte. Sie war nicht der Typ Person, der solche Missverständnisse an die große Glocke hängte, praktisch aus einer Mücke einen Elefanten machte. Und trotzdem schien er sich noch ein halbes Dutzend Mal entschuldigen zu wollen. Als er dann auf ihre Frage hin nickte, schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Sie hatte nun schon oft Musiker in den Straßen der Stadt gesehen, doch die meisten Leute wussten ihre Musik nicht wirklich zu schätzen. Nun gut, es gab die Sorte, die die Musik einfach nicht beherrschte doch die einigen wenigen, die gut waren wurden ebenso wenig gewürdigt. Die meisten Leute gingen mit Scheuklappen, ihren Blick stur in eine Richtung gewandt, fast schon blind und immer nur um ihr eigenes Wohl, die eigene Tasche und Zeit besorgt, durch das Leben. Dabei fand sie es einen netten Zeitvertreib, sich die Musik dieser Menschen anzuhören, denn sie selbst konnte kein Instrument spielen, was ihr die Gelegenheit selbst solche Melodien und Töne hervorzubringen.

Auf seine Entschuldigungen hatte sie mit angefangenen Wortfetzen wie „Nein… ist schon…" oder „Das ist wirklich nicht…" reagiert, doch ihm schien es wichtig zu sein, es wieder gut zu machen, dass Speckles in ihre Tasche gegriffen hatte. Erst wollte sie auch sein Angebot mit der Wiedergutmachung ausschlagen, doch sie wollte ihn auch nicht kränken. Kurz überlegte sie, kaute sich auf der Unterlippe herum, ehe sie ihn wieder ansah und sein Lächeln erwiderte. „Wenn es dir wirklich so wichtig ist, wie wäre es wenn wir da vorne in dem kleinen Bistro etwas trinken gehen?" erwiderte sie auf seine Frage hin. Sie mochte das kleine Lokal, es war nicht so brachial voll gestopft wie manch andere in der Stadt, es vermittelte einfach Ruhe, man konnte sich setzen und miteinander reden und hockte nicht mit zig wildfremden Menschen zusammen an einem Tisch, gequetscht wie die Sardinen in der Dose.

Gemächlich hob der Schwarzhaarige die Tasse an seine Lippen und tat einen Schluck, ehe er der Katze noch einen kurzen Blick zuwarf, kaum lange genug, um die gelesene Zeile zu unterbrechen. "Nein, er stört nicht. Nicht solange er still ist und nichts kaputt macht." Eine Regel die für jeden galt, der sich in seinen Laden verlief. Die Worte neutral, machte doch eine subtile Betonung darauf aufmerksam, dass Lian sich in der Tat nur auf den Kater bezog, der nicht störte, ohne jedoch zu direkt und unhöflich zu werden. Die indirekte Bestätigung, dass es sich tatsächlich um ihr Tier handelte, beachtete er kaum, war er davon schon lange überzeugt. Die Tatsache, dass sonst niemand den Laden betreten hatte und sie sichtlich nach etwas zu suchen schien, als sie Ich habe gelesen", bestätigte er die Worte des Mädchens nicht ohne sie im gleichen Augenblick damit zu korrigieren, erneut subtil seine Unzufriedenheit ausdrückend, gestört zu werden, während er nun endlich das Buch zuklappte, nur ein Finger noch zwischen den zuvor aufgeschlagenen Seiten als Lesezeichen fungierend, und aufsah.

Aufmerksam musterte er das Mädchen, dass er zuvor nur aus den Augenwinkeln betrachtet hatte. Sie wirkte etwas naiv, kindlich, jung - ein Eindruck, der in Lian's Augen von Schnitt und Farbwahl ihrer Kleidung nur verstärkt wurde, ebenso von ihren Worten. Nicht die übliche Kundschaft, die seinen Laden betrat, führte er keine Bücher für kleine Mädchen, behielt diese Feststellung jedoch für sich. Er versuchte seine Meinung nicht zu übereilig festzulegen, vielleicht täuschte ihre Erscheinung, ließ sich nicht auf ihren Büchergeschmack und ihr Alter übertragen. Hatte das Gefühl, dass er ihrer Vorstellung eines Buchhändlers aus irgendeinem Grund auch nicht ganz gerecht wurde. Doch im Grunde kümmerte es ihn wenig, egal was davon zuträfe.

Achtlos, automatisch folgte er ihrem Blick durch das vertraute Geschäft, über die hohen Regale, mit Büchern vollgestopft, folgerte, dass sie aus einem kleineren Ort stammen musste. Sicher, war seine Buchhandlung nicht klein, schaffte es, einige andere in Größe und Angebot auszustechen, doch es war genug Platz nach oben, um sie nicht als riesig bezeichnen zu können. Mit einem knappen Nicken bestätigte er ihre Frage. "Ja", fügte er an. "Der Laden gehört mir." Als reichte das, um auszudrücken, dass er ihn ebenfalls allein führte, niemand anderen für sich arbeiten ließ, denn nie wäre er auch nur auf die Idee gekommen, eine Hilfskraft einzustellen, die ihm zwar Arbeit abnehmen, aber dafür mit Gewissheit unglaublich viele Nerven rauben würde.

Kurz war er davor, sich wieder seinem Buch zuzuwenden, als ihre mehr gemurmelten Worte ihn aufhorchen ließen, angedeutet von einem leichten, subtilen Zucken seiner Augenbrauen. Sollte sich dieses Mädchen vielleicht doch als potentielle Kundin herausstellen, nachdem er sie schon fast als nicht mehr als Anhängsel der Katze abgetan hatte. Erneut wurde er etwas aufmerksam, als er sie beobachtete, die Überlegung fast schon wieder beiseite schob. Andererseits, was hatte sie sonst noch immer in seinem Geschäft zu suchen, wenn die Katze doch längst gefunden war.

Rairii's Finger strichen noch eine Weile über die Bücher, ihr Blick starr auf die Regale gerichtet. "Verstehe." gab sie nur auf Lians Äußerung der Ladenbesitzer zu sein zurück. "Dann musst du ziemlich viel Arbeit haben, so ganz alleine." murmelte sie abwesend. Ihre Hand blieb stehen, ruhte auf einer Regalkante. Ihr Blick stumm fokussiert. Ihr war gerade eingefallen, dass sie doch hatte nur Cheshire holen wollen und nun belästigte sie einen Fremden, der wahrscheinlich besseres zu tun hatte als sich mit ihr zu befassen. Sie drehte ab. Und das wäre auch der Anfang ihres Rückweges gewesen, wäre ihr nicht erneut eins der vielen Bücher ins Auge gestochen. Sie holte tief Luft, ihre Augen funkelten. "Das Buch dort." Sie hob den Arm um auf das mitteldicke Buch in einem der oberen Regale zu deuten. "Es ist über die Mythen Octaves, nicht wahr? Wie viel möchtest du dafür?" Ihre Stimme war ernst, keine Spur mehr von dem schüchternen Mädchen von vor wenigen Sekunden. "Ich möchte unbedingt alles darüber wissen. Dafür bin ich hergekommen. Nach Concorde. Ich möchte herausfinden ob sie war sind, die Mythen um die Engel. Das ist genau, was ich brauche." Sie sprach gerade zu Ende, als sie schon das Buch griff und vor sich aufschlug. Natürlich war das nicht ganz höflich, doch der Ehrgeiz packte sie wieder. "Weißt du etwas darüber?" fragte sie ihn durchdringend, in der Hoffnung er würde endlich sein Buch weglegen und sich um seine spezielle Kundin kümmern. "Wenn du etwas darüber weißt, sag es mir. Bitte." fügte sie hinzu, aber ihre Augen änderten schon wild die Richtung als sie über die Zeilen eilten.

Er sah an sich herunter und musste grinsen. Es war ihm nicht mal wirklich aufgefallen, dass er sein neues Shirt wiedermal zerrissen hat. Er fühlte sich nun mal unwohl darin und entledigte sich der Oberbekleidung sobald die Hexe aus dem Raum war. Auf der Straße war das etwas schwieriger zu realisieren und nun hatte er die perfekte Entschuldigung. Als ob er jemals eine Entschuldigung wirklich brauchte. Trotzig machte sich der Gedanke in Sawyer breit, dass er weder eine Erlaubnis noch sonst was von dem Mädchen brauchte um sein Leben so zu leben, wie er gern wollte. Mit einer fließenden Bewegung zog er sich das Shirt vom Kopf und schmiss es in eine dunkle Ecke. Eine Ratte kam aus ihrem Versteck gekrochen und schnupperte daran, schien jedoch von der Entdeckung enttäuscht zu sein und verschwand wieder. Der Dunkelhaarige blickte von oben herab auf Dolphin, etwas herausforderndes lag in dem Blick seiner dunklen Augen. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging wieder auf die offene Straße. Die Menschenmenge schien gewachsen zu sein. Er blickte nochmal zurück »Komm einfach mit. Was hast du schon zu befürchten?«

Die Atmosphäre in dem kleinen Laden war durch und durch angenehm, um diesen Nachmittag in Ruhe und Entspanntheit zu genießen. Die Bedienung reagierte auf Noahs Wink fast plötzlich. Langsam, um die Tische schlängelnd, kam sie auf die beiden zu. Auf Justins unsichere Bemerkung hin schaute der Mönch einige Momente lang grübelnd drein. Ihm war klar, dass sein Gegenüber aus Höflichkeit nicht ablehnen wollte, Noah jedoch auch aus Höflichkeit sein freundliches, umsichtiges Angebot nicht annehmen konnte. Dennoch bahnte sich eine Idee in seinen Kopf und er lächelte ihm beruhigend zu. Dann wandte er sich wieder an die Bedienung, die nun endlich ankam. „Was darf's sein?", fragte diese und schaute nur kurz von ihrem Schreibblock auf. „Wir hätten gerne dreimal Ginseng-Tee. Die Empfehlung des Hauses.", sagte er freundlich. „Naja… und dazu wäre vielleicht ein wenig Gebäck nicht schlecht. Aber nur etwas Kleines.", bei diesen Worten schaute er Justin fragend an. Wenn er den Tee bezahlte und sein Gegenüber ein wenig Knabberei, dann konnten sie sich guten Gewissens unterhalten und schuldeten dem anderen keinen Gefallen. Die Frau zog ab und ließ die beiden allein zurück. Der Silberhaarige faltete die Hände auf dem Tisch und schwieg kurz um nicht zu aufdringlich zu wirken. Dann sprach er wieder. „Du kannst mich ruhig duzen. Ich vermute wir sind alterstechnisch nicht sehr verschieden.", stellte er fest, dann fuhr er fort, "Deine Begleitung und du… darf ich fragen, wo ihr hin wollt?

Fiddlers Blick wanderte über die Häuser bis er das kleine Bistro entdeckte. Er hatte es schon einmal beiläufig gesehen, schenkte Gebäuden wie diesen jedoch selten große Aufmerksamkeit. Seine Taschen waren zu leer, um sie aufzusuchen. Vielleicht ein oder zwei Mal im Jahr gönnte er sich einen kleinen Happen mit Speckles zusammen. Wobei der Affe an Orten wie diesen ungern gesehen war. Schnell rechnete er in seinem Kopf zusammen, wie viel Münzen er grob geschätzt in seiner Tasche haben musste und kam zu dem Entschluss, dass er wohl gerade genug für eine Tasse Tee zusammenkratzen könnte. Das würde ihn in Nöten für die nächsten Tage bringen, aber er wollte das Angebot des Mädchens nicht abschlagen. Schon gar nicht aus einem banalen Grund wie diesen.

Guter Dinge machte er sich daher auf den kurzen Weg zu dem Lokal, drehte sich um und ging rückwärts vor dem Mädchen her. Er kannte ihren Namen noch gar nicht. Locker verschränkte er die Arme hinter seinem Hinterkopf, behielt sein Schritttempo bei und legte den Kopf nur ganz leicht neugierig schief. „Ich hoffe, du hattest heute nichts vor oder so...nicht, dass ich dich jetzt von etwas abhalte" stellte er leicht besorgt fest. „...wie heißt du überhaupt?" Gerade war die Frage ausgesprochen hatten sie auch schon das Lokal erreicht. Noch im Türrahmen drehte sich Fiddler wohl ein wenig zu schwungvoll um, strauchelte, nur, um dann den Halt komplett zu verlieren. Hilflos ruderte er mit den Armen, fand schließlich den Griff einer Tischdecke, die jedoch mitsamt ihm selbst zu Boden fiel und sich über Fiddler legte.

Na toll, jetzt hatte man wenigstens einen Grund, ihn von vornherein rauszuschmeißen. Er schnaubte kaum hörbar und riss sich die Tischdecke vom Kopf, zog sich dann mit aller Kraft an dem nun komplett blanken Tisch hoch. Jedoch nur so weit, dass er das Kinn auf seinen verschränkten Armen ablegen konnte und die beiden jungen Männer betrachten konnte, denen er gerade diese Bescherung bereitete hatte. Speckles war schlau genug gewesen und war schnell genug aus dem Weg gesprungen, hatte dadurch aber einen der beiden Jungs angefallen und sich in dessen Haare gekrallt. Fiddler zog eine Grimasse und betrachtete die Beiden noch einmal eingehend. „Ich hoffe, ihr hattet kein Date." merkte er an, selbst sichtlich peinlich berührt.

Gerade als sie in Richtung des Bistros genickt hatte, flog sein Kopf auch schon in die Richtung. Nur kurz schien er nach dem Laden zu suchen, dann fanden seine Augen ihn auch schon, woraus Lynn schließen konnte, dass er es vielleicht kannte, oder sogar schon das ein oder andere Mal dort war. Sein Blick galt nur noch einigen Momenten dem Ambiente, dann wandte er sich wieder an sie, setzte sich in Bewegung, schien jedoch über irgendetwas nachzudenken, was sein Gesicht kurz verriet. Ob er das Lokal nun nicht mochte? Oder haderte er mit der finanziellen Sache? Sie war sich nicht ganz sicher, wollte ihm nun aber jetzt auch nichts aufdrängen, was ihm zu sehr an die Taschen gehen konnte. Jedoch verschwand dieser Ausdruck und sein Gesicht nahm wieder eine lässigere Erscheinung an, drehte sich sogar zu ihr um und lief nun mit dem Rücken voran. Ob das lange gutgehen konnte? Lynn hoffte schon, verbannte den Gedanken dann aber, wollte immerhin nichts heraufbeschwören. Dementsprechend brauchte sie etwas, bis sie registriert hatte, dass er sie etwas gefragt hatte. "Hm?" fragte sie erst, antwortete ihm dann aber auch sogleich auf seine Frage, auch wenn sie schon an ihrem Ziel angekommen waren.

"Oh, mein Name ist..." weiter kam sie nicht, denn schon verlor der Jung durch seine wohl zu schwungvolle Drehung das Gleichgewicht, ruderte noch einige Sekunden, erfolglos, mit den Armen und riss dann in dem unglücklichen Missgeschick gleich eine Tischdecke mit sich, als er fiel. Natürlich saß an jemand. Oder besser gesagt zwei junge Männer. Fiddler lag nun, von der Tischdecke vollkommen bedeckt, am Boden, Speckles hatte sich vorher in Sicherheit gebracht, raffte sich dann aber wieder auf, sodass er gerade so über die Tischkante schauen konnte. Die Weißhaarige eilte sofort zu dem Tisch und half Fiddler gar hoch. "Alles okay?" fragte sie etwas besorgt an den Jungen gewandt. Gerade als sie die zwei Personen am Tisch erblickte erblasste ihr Gesicht etwas, und all die Entschuldigungen die sie sich gedanklich schon zurecht gelegt hatte, waren verflogen. Stattdessen herrschte nun vollkommene Leere in ihrem Kopf. Verlegen wollte sie schon den Blick abwenden, zwang sich dieses mal aber die beiden anzusehen. "Also..." sie zupfte an einer Falte ihres Kleides herum. "... ähm, das gerade eben... entschuldigt für die unangenehme Störung...." stammelte sie wieder schüchtern vor sich hin. Wieso fiel es ihr auch so schwer, jedes mal wieder, männliche Wesen anzusprechen? Jetzt wusste Fiddler wenigstens, dass es nicht an ihm gelegen hatte, sie ihm gegenüber keine Probleme hatte oder ihm gar missmutig gesinnt war. So erging es ihr jedes mal, und die Situation machte diesen Umstand nicht gerade besser. Sogleich kam auch eine Bedienung herbeigeeilt, die anfing die Tischdecke und die Dekoration aufzuheben und wieder ordnungsgemäß auf dem Tisch zu platzieren.

Dolphin schloss zu ihrem Paktgeist auf, sah skeptisch zu ihm hoch, verzog die Lippen zu einem müden Lächeln. Ihre Worte hatten ihn nur bekräftigt all ihr Bemühen in den Wind zu schlagen, achtlos hatte er das Shirt in der Gasse beseitigt. Bei seiner Frage waren ihr etliche Szenarien eingefallen warum sie ihm keinesfalls ohne Misstrauen folgen sollte. Manche von ihnen waren so wahrscheinlich das Dolphin sie nicht für sich behalten konnte. Abwesend zupfte sie noch immer an dem Band um ihre Hand, nur langsam färbte es sich rot. Die Blutung würde wohl bald aufhören, seufzend ließ das Mädchen die Schultern hängen. „ Oh das du mich verkauft, auffrisst, verschenkst, von einem Balkon schmeißt, vor ein Fuhrwerk schubst und so weiter." Zählte Dolphin unbeteiligt auf, kniff die Augen zusammen und verzog den Mund genervt. "Oder mit in ein Bordell mitnimmst, wobei du dir sicher sein kannst, ist das ich sicher nicht den Flügelmann für dich spielen werde. Oder Flügelfrau, was weiß ich." Murrte Dolphin und hackte sich dann bei Sawyers Hosenbund ein, da er sich davor fürchten musste ihn zu verlieren, dass sie ihn in dem Gemenge verlieren würde. „Hüya Pferdchen." Meinte sie spöttisch und schnippte gegen den enthüllten Rücken.

"Überzeugt mich einfach nicht." entgegnete er und ließ ein Gähnen entweichen. Gelangweilt schaukelte er mit dem Stuhl auf dem er saß herum. " Meine Körpertemperatur liegt wohl wirklich weit unter dem Durchschnitt. Erstaunt?" fragte er auf ihre Reaktion belustigt nach. Sie war weitaus nicht die erste die es feststellte aber dass ein Halbblut es sogar als kalt empfand hätte er nicht gedacht. Es verunsicherte ihn aber keineswegs. Natürlich, alles an mir ist beneidenswert Schätzchen" stimmte er zu und legte auf ihre kommende Frage den Kopf leicht schief. Man merkte ihm an wie er nachdenklich wurde, zögerte bei seiner Antwort ausnahmsweise. Er hatte seine Existenz nie in Frage gestellt, lebte in den Tag hinein als gäbe es kein zweiter, genoss jeden einzelnen Moment davon. Mit solch philosophischen Fragen war der Schwarzhaarige bislang nie konfrontiert geworden. "Gefühle? Ich glaub schon..." antwortete er schlussendlich immer noch in Gedanken versunken.

"Ich hab eine Idee! Küss mich und finde es heraus." Munter stand er auf und ein gefährliches Grinsen bildete sich auf seine Lippen. Langsam näherte sich sein Gesicht dem des kleinen Mädchen, stütze sich dabei mit den Händen am kleinen runden Tisch. Seine Lehne ließ jedoch urplötzlich nach und er stürzte samt Tisch nach vorne in Richtung der Wahrsagerin. Seine roten Augen weiteten sich, Staunen ersetzte den normalerweise arroganten Gesichtsausdruck Asadel's und seine Reflexe reichten nicht um sein Gleichgewicht wiederzufinden, dementsprechend unfähig den Sturz zu vermieden. Als seine Sicht wieder klarer wurde lag er über der Braunhaarigen, der Tisch umgekippt neben ihnen, die Karten alle verteilt auf dem Boden. Ein zweites Mal weiteten sich sein Blick, diesmal gab er einen Laut der Verwunderung aus. Doch war es kein Staunen sondern Bewunderung die sich in den sonst leblosen Augen spiegelte. „So schön blau „sagte er eher zu sich selbst und schien nicht das leiseste Anzeichen zu machen von ihr abzulassen.

Muffet schüttelte leise den Kopf. Klar, alles an ihm war beneidenswert, zumindest schien der Junge wirklich von sich selbst eingenommen zu sein, was für ihre Karten sprach. Allerdings zeigte sich ein unscheinbarer Ansatz eines Lächelns auf ihren Lippen als sie den sonst so vorlauten jungen Mann überlegen sah. Da hatte sie wohl genau ins Schwarze getroffen. Sie war gerade dabei ihre Karten wieder zusammen zu räumen als etwas sie plötzlich unterbrach. Küssen? Was für ein... Bevor sie irgendetwas sagen konnte, war das Gesicht des Halbbluts bereits verdächtig nah an dem ihrem. Auch wenn sie sich nur wenig bis nichts anmerken ließ, war ein Anflug von Nervosität im Blick der Wahrsagerin zu sehen. Wobei sie nicht sicher war, ob der Grund nun die bedrohlich roten Augen des Jungen waren, oder die Plötzlichkeit des Verfahrens. Vielleicht aber auch die Tatsache, dass sie so überrumpelt wurde, dass sie schon nicht mehr dazu fähig war sich schnell mit einem Spinnenschwarm retten zu können. "Was wird- Ahhh!!" Bevor sie noch an irgendetwas anderes denken konnte, kippte sie mitsamt ihrem Stuhl auch schon nach hinten. Kumochi hatte sich blitzschnell an die Decke gerettet, während Muffet nun auf ihrem Rücken lag, dem Halbdämon verdächtig nahe. "blau...?" fragte sie leise, wobei der Schock der nun doch ziemlich tief saß, kaum bemerkbar war. "Nun... Vielen Dank." Einige Sekunden schwieg das Mädchen, bevor ihren Lippen ein kurzes Kichern entkam. "Also so etwas ist mir bis jetzt noch nie untergekommen. Respekt."

Mit einem Seitenblick bemerkte der Paktgeist das erhöhte Interesse des Mädchens an ihrer verletzten Hand. Ein belustigtes Schnauben entwich seiner Kehle. Es war doch nur ein kleiner Schnitt, sie sollte nicht so eine große Sache daraus machen. Er hat schon größere Verletzungen wegen ihrer Gier auf sich nehmen müssen. Als sie dann auch noch so einfallsreich in ihren Vorschlägen war, schlich sich eine Sehnsucht in seine Augen, die vermuten ließ dass er am liebsten alles davon gemacht hätte. Vielleicht würde er die Reihenfolge etwas verändern. »Mach dir nichts vor. Wenn ich dich schon in ein Bordell schleppe, dann nur um dich dort zu verkaufen. Sieh mich doch an – ich brauche bei so etwas keine Hilfe.« und schon gar nicht in einem Bordell. Vielleicht aber wusste sie bloß nicht wovon sie sprach. Ein Auflachen entfloh seiner Kehle und er zog das Mädchen wieder an sich. »Ich werde dich mal mitnehmen, damit du lernst wie sich Frauen zu verhalten haben.« flüsterte er ihr ins Ohr und beugte sich dann vor um ihr in die Unterlippe zu beißen. Dann entfernte er sich wieder von ihr und ließ seinen Blick über die Straße schweifen. Nicht weit von ihrem jetzigem Standpunkt konnte er ein indisches Café sehen. Er deutete drauf, da wollte er heute hin.